Freitag, 4. März 2016

Tag X





Tag X





In der Klinik läuft es ein wenig ab wie bei „The biggest Loser“, nur geht es eben nicht ums 
Abnehmen, sondern ums Zunehmen (auch, wenn das bei einigen komischerweise nicht so ist), aber ich schätze, der Wiegetag wird mit demselben Grad an Hysterie erwartet.
Das einzig Gute bei uns Anorexen ist, dass wir im Gegensatz zu den Kandidaten der berühmten Castingshow einige Möglichkeiten haben, das Ergebnis auf der Waage zu beeinflussen; draufmogeln geht, weniger ist dann doch eher schwierig.
Natürlich ist das niemals vorgekommen, man hatte einfach nur morgens um halb sieben vor dem Wiegen so einen Durst, da gehen schon locker mal 3 Liter weg auf ex, wir wollen ja nicht dehydrieren, Wasser ist ja schließlich das Elixier des Lebens, und wir haben wahnsinnig an unserem Leben gehangen, deshalb auch die totale Nahrungsverweigerung, implizierte Reinigung des Körpers etc. Bei den ganzen Antibiotika in Lebensmitteln weiß man ja gar nicht mehr, was man überhaupt noch essen kann, da hab ich dann einfach für mich beschlossen, ich schlag da mal den radikalen Weg ein und lass das einfach komplett mit dem Essen, du, muss ja auch jeder für sich selbst wissen!
Ok, jetzt bin ich abgeschweift, eigentlich wollte ich grade die witzigen Storys erzählen, wie man ohne große Probleme bis zu drei Kilo mehr auf die Waage bringen KÖNNTE. Konjunktiv, liebe Freunde, natürlich hat sich dies niemals so zugetragen.
Die bewährteste Methode wäre mit Sicherheit die mit dem Wasser, braucht nicht viel, kostet nix, super einfach zum Nachmachen!
Eine weitere nette Idee um das eigene Körpergewicht etwas ansteigen zu lassen ist das Tragen von Gegenständen am Körper. Hierzu muss man sagen, dass das fast schon eine Königsdisziplin ist, da man außer Unterhose und BH nichts tragen durfte, Socken mussten auch aus, das wäre durchaus noch eine erstrebenswerte Möglichkeit, um Sachen zu verstecken. Aber keine Panik, es gibt Schlupflöcher, also ich muss mir selber auf die Schulter klopfen, an Kreativität mangelt es den Anorexen auf jeden Fall nicht, man muss immer das Positive sehen, Leute!

Was machen also? Man könnte zum Beispiel Sachen in seinen BH stecken, Steine etc. aber natürlich nicht zu auffällig versteht sich, hier ist Können gefragt! Eine der effektivsten, aber auch gleichzeitig riskantesten Möglichkeiten war das Tragen von Gewichten, die man sich so um die Beine oder Arme macht und dann schön mit nem Verband abdeckt. Ich bitte euch, die Schwestern können sich nun wirklich nicht jedes Gesicht merken, was abends mit aufgeschlitzten Armen in die Krankenstation kommt, d.h. sie kauft es euch einfach ab, dass ihr zu dieser Gruppe gehört! Aber wie gesagt, ziemlich risky, weil eventuell hatten die üblichen Verdächtigen in der Woche n Hoch, die Arme blieben verschont, dann erinnert man sich natürlich an die paar Ärmchen, die man verbunden hat, und sie wissen, dass es eure nicht waren. Also nur probieren, wenn ihr gut im Pokern seid oder wart.
Eine weitere Methode, die allerdings etwas mehr Vorlaufzeit benötigt, ist die Einlagerung von Wasser auf längere Sicht. Da stellt man sich natürlich die Frage, was muss ich tun, damit sich in meinem Körper Wassereinlagerungen bilden? Und schon kommen wir wieder auf den heiligen Grahl, den ich bereits im letzten Blogpost angesprochen habe, zurück: der Süßstoff! Vielleicht merkt ihr langsam, was dieses Zeug für einen Wert hatte in der Klinik, ein Wundermittel, ein Alleskönner, und zudem verboten, das reizt natürlich noch mehr! Einige unter euch fragen sich jetzt vielleicht, waaas, ich süße meinen Kaffee immer mit 2 Stück Süßstoff, davon kriege ich Wassereinlagerungen?
„Niedlich“, sprechen da die Anorexen, „in was für einer Größenordnung die denken, häng ne 0 dran und wir kommen der Sache langsam näher.“
Ich hab hier jetzt ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, das bleibt unter uns! Ihr seht also, der paradoxe Wille, die völlige Kontrolle zu behalten, obwohl man die  Kontrolle über sein Leben eigentlich längst verloren hat (Grüß Gott Karl Lagerfeld, man läuft auch echt einen großen Teil der Zeit in Jogginghose durch die Gegend), zeigt sich auch hier wieder. 

Kleiner Reminder: Das mit dem Vortrinken klappt auch nur so lange, bis eure Zimmernachbarin auch Dreck am Stecken hat, d.h. sie kann euch nicht verraten, da ihr dann natürlich auch reden würdet. Mega cool, das ist fast wie im Knast „Ey, ich verrat dich nicht, wenn du dichthältst, sickert bei mir nichts durch, aber ich schwöre dir, singst du, erfahren sie alles von mir“!)
Aber im Ernst, wenn man ne halbe Stunde im Bad ist und das Wasser durchgehend läuft, ist die ganze Sache einfach super auffällig, auch wenn man sich für unbesiegbar hält.
Nicht mehr ganz so cool ist man dann allerdings an Tag X, der einmal in der Woche ansteht, der Wiegetermin. Schön im Schlafanzug zum Zimmer der Schwestern, in netter Gesellschaft von anderen Leidensgenossen, mit Wärmflasche bewaffnet versteht sich, ab nem Körperfettanteil von unter 10 ist das dann irgendwann so ne Sache mit der Eigenwärme; ein optimaler Start in den Tag sag ich da immer!
Die Ersten kommen mit erschütterter Miene wieder aus dem Zimmer; nene, die haben nicht schlecht geschlafen, die haben ihre notwendige Zunahme nicht erreicht. „Ach was, das liegt doch nicht an den heimlichen Sporteinheiten im Keller unten oder von den Sprints durchs Treppenhaus, das halte ich für ein Gerücht, mein Körper ist einfach nicht gemacht für feste Nahrung und verträgt das Ganze nicht, ist nicht jedermanns Sache.“
Nun naht allerdings Schlimmes, von allen Anorexen gefürchtet wie die Kreditkartenabrechnung am Ende des Monats: die Erhöhung des Ernährungsplans!
Wie das allerdings weiter geht, ist ne Geschichte für sich, da muss ich sagen, war ich auch Meister in Sachen Dramaqueen, auf einer Dramaskala von 0:-„easy going“ bis 10 – „sie-wollen-mir-meine-Haare abschneiden, dann-steig-ich-aus-der-Sendung-aus“ War ich auch n paarmal davor, auszusteigen, bis mir dann aufgefallen ist, dass ich nicht bei GNTM bin und
ich deshalb nicht sagen konnte :"Ey Heidi, ich will dein scheiß Foto nicht!"

In diesem Sinne und einen guten Appetit wünsche ich euch, das Leben ist zu kurz für schlechte Laune und nur 30g Käse auf der Pizza! Ich freue mich über eure Kommentare,

Eure Katja