Samstag, 30. April 2016

Mittagsrunde Märchenstunde



Hallo Freunde der Sonne!



Ich hab die letzten Tage mal in meinem spannenden Tagebuch aus vergangenen Zeiten gelesen und bin da doch wieder auf erstaunlich amüsante Ereignisse gestoßen.

Es schlägt 2 in der Klinik xy und jetzt geht’s endlich wieder los: die Mittagsrunde! Für alle, die fleißige ‚Gossip Girl‘-Gucker sind, der Spaß ist besser, ich sag’s euch! Jetzt fragt ihr euch bestimmt, was da eigentlich so geht. Kann ich euch ganz fix erklären, und zwar muss jeder, der an dem Tag wiegen hatte, ein Geständnis abliefern, ob er auch ausreichend zugenommen hat (ausreichend waren 500g pro Woche, das ist schon ne Hausnummer). Bei mir war es glaub ich die ersten 4 Wochen jedes Mal nicht genug, anfangs hab ich auch immer noch n Zwergenaufstand gemacht und hab gar nicht eingesehen, mehr zu essen, ich habe immer auf unschuldig aaaaaaaaaand wait for it: zuwarten plädiert. Oh ja, dieses Wort, kaum war es ausgesprochen in dieser gemütlichen Runde, wurde schon innerlich leise geschmunzelt und auf die Reaktionen der verständnisvollen Ernährungsberatern gewartet. Zitate aus dem Sammelband „Dinge, die ein Ökotrophologe niemals sagt“: „Na klar warten wir noch eine Woche, bei deinem Gewicht von knapp 40 Kilo ist doch auch alles easy, mach dir da keinen Stress.“ Oder: „Was, du möchtest keine Erhöhung? Versteh ich total, dann eben nicht, jeder wie er kann. Vielleicht wirst du ja auch ohne Zunahme wieder gesund“. Tja, aber soll ich euch was sagen, genau das hab ich gedacht, als ich diese netten Menschen das erste Mal getroffen habe und mich gefragt haben, was ich so die letzten Wochen normalerweise gegessen hab. So lustige Dinge wie „also mindestens einmal Mc’s am Tag, aber natürlich ne Coke light, man möchte ja auf seine Linie achten“, fallen mir erst immer danach ein, Schade eigentlich.
Ne, ich war das erste Mal ehrlich, was diese Frage betraf und hab nach dem starken Beginn der Aufzählung von 2 Knäcke und vielleicht noch n Apfel relativ schwach geendet, weil meistens gar nichts mehr danach kam, außer vielleicht n Salat. Und ich, so naiv wie ne kleine Anorexe in so nem Laden eben ist, habe ernsthaft geglaubt, dass die sich dann ja wohl auf mich einstellen und ich dann erstmal langsam anfange mit dem Essen, vielleicht erstmal n drittes Knäcke oder so, du, jeder wie er kann sag ich immer! Aber nein, die grausame Wahrheit sah anders aus und sie war zudem extrem traumatisierend: Ich hatte einen Plan von 1850 Kalorien. In meinem Kopf kreiste nur die Frage: „Ey, schon pro Woche oder? Wehe ich werd fett, ihr Assis“. Am Ende lief die Kalorienanzahl meines Plans dann gegen unendlich (jaa, das war eine mathematische Anspielung, an dieser Stelle ist ein kleiner Schmunzler angebracht).

So, nach diesem kurzen Exkurs kommen wir nun wieder zum Ausgangsthema zurück und zwar die unzureichende Gewichtszunahme in der Mittagsrunde. Nun kam es also zu dieser unangenehmen Situation, dass man vor allen sagen musste, dass man es nicht gepackt hat, also dann sagste so: „ Jouu, 300g und ich brauch noch n Termin“. Also n Termin deshalb, weil die Anorexen meistens nicht so spontan sind und sagen: „Hey, wissen Sie was, 100kcal und 6g Fett mehr ist gar kein Problem für mich, was schlagen Sie vor, ich vertraue da voll und ganz auf Ihre Fähigkeiten.“ Haha, nope, wäre mega langweilig gewesen so ohne Drama.
Manchmal haben es die lieben Ernährungsberater aber doch versucht, diese Konflikte innerhalb der Mittagsrunde zu klären und dann ging‘s los: „Was können Sie sich denn so als Erhöhung vorstellen, n paar Oliven, n Knäcke mit Aufstrich?“ – „Also bei bestem Willen, abends gehen einfach keine Oliven, morgens würde ich das Knäcke vielleicht versuchen, aber ohne alles.“ Ja ist klar, meine Vorstellungskraft versagt auch des Öfteren beim Versuch, sich Oliven bildlich vorzustellen. Kann man dann auch nicht wirklich was dran machen, außer natürlich, man stellt sich diesen gefährlichen Oliven, aber da wäre ich vorsichtig, Studien haben gezeigt, dass man schon alleine beim Einatmen des Geruchs einer Olive an den Hüften zunimmt!
Was dann auch immer richtig spannend wurde, wenn einer etwas öffentlich machen musste oder jemand anderes ein lang gehütetes Geheimnis einer Leidensgenossin lüftete. Das war echt wie bei Gossip Girl, außer dass es nicht die Upper-East-Sider betraf sondern die Klapsen-Girls. „Achtung Girls, spotted: Person xy bei ihrem nächtlichen Ausflug oder brauchte sie einfach nur frische Luft? Aber eins ist klar, wenn die Anderen von deinen sportlichen Aktivitäten im Waschraum erfahren, wirst du sehen,  wer deine wirklichen Freunde sind oder steht einsames Mädchen am Ende möglicherweise alleine da?“ Einmal zum Mitschreiben: es kam alles raus, wirklich alles, jede Anorexe ist eine bessere und hartnäckigere Agentin als Blair Waldorf und das meine Lieben, heißt schon was. Es wurde keine Gelegenheit ausgelassen, andere anzuschwärzen für heimliches Sportmachen oder sonstigen kriminellen Aktivitäten wie das Übermäßige Benutzen von Süßstoff. Natürlich immer nur aus dem Grund, die Unwissenden vor ihrem Unheil zu bewahren, damit sie auch ganz schnell wieder gesund werden. Merkt euch einfach, in einer Klinik für Essgestörte gibt es in den meisten Fällen keinen Ehrencodex oder irgendein ‚Bros‘-before-hoes‘, höhö, die Bros‘ gab’s ja eh fast nicht.

Bis hierhin erstmal, nächstes Mal geht’s locker flockig weiter, ich freu mich wie immer über eure Kommentare und ihr dürft mir natürlich auch gerne folgen.
In diesem Sinne, passt auf euch auf, bleibt anständig und bis ganz bald,

Eure Katja
:)

Donnerstag, 21. April 2016

Was war, was ist




Mohooin meine Lieben,

Es tut mir Leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, aber ich war mal eben kurz in Neuseeland, Jetsetlife dies das :D Ne Spaß, ich hab nur n bisschen zu viel Gossip Girl geguckt, ihr kennt das. 

Dann ist auch noch etwas passiert, was mich wieder etwas nachdenklich gemacht hat, und zwar habe ich mein altes Tagebuch und Ernährungstagebuch aus meiner Klinikzeit gefunden und ich sag euch was: Für alle, die mich kennen und denken, dass ich zu heutiger Zeit ne Klatsche hab, was durchaus nicht ganz von der Hand zu weisen ist, hat diesen Bullshit von damals noch nicht gehört!
Da stehen dann Sachen drin wie: Konnte heute in der Schule endlich mal einen Apfel essen. Woow, das ist natürlich wirklich von so enormer Bedeutung, dass man das in seinem Tagebuch festhalten muss. Aber halt Stopp, eine andere Sache erwähne ich in dieser Zeit noch besonders häufig: „Habe heute 14 Punkte in Deutsch wieder bekommen…“ „Chemie war heute richtig gut, konnte mich gut beteiligen…“.
Es liest sich wie eine einzige Erfolgsgeschichte, mit Freunden war alles super, mit meinen Eltern habe ich mich laut den Aufzeichnungen super verstanden und dann auf einmal: „Heute ist der Antrag für die Klinik durch.“ Und ich nur so, häää, wie passt das denn da grade rein, wie dumm war ich denn bitte? Hab dann alles nochmal durchgelesen. Ich hatte das Gefühl, die Geschichte von jemand Fremden zu lesen, nicht von mir selbst. Und soll ich euch was sagen, diese Person hat mich wahnsinnig wütend gemacht! Wie dumm muss man sein, wem wollte die eigentlich was vormachen, kurz vor der Klinik, aber nö, mir geht’s richtig gut, deshalb auch dieses super echte Dauerlachen die ganze Zeit.
J Also ich hatte echt n Vollschaden, man kann nur hoffen, dass davon nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist. Aber dieses Tagebuch offenbart noch eine Menge lustiger Geschichten, oh man :D

Durch diesen kleinen und ich glaube auch am unlustigsten Blogpost von allen wird aber denke ich nochmal ganz gut deutlich, dass ich mich keineswegs über Menschen stelle, die unter dieser Krankheit leiden, da mein Handeln, mein Alltag, einfach alles, viele Jahre von dieser Krankheit bestimmt wurden. Man verliert das, was einen einzigartig macht: seine Persönlichkeit, also das, was andere Menschen vielleicht auch manchmal als anstrengend empfinden.
Früher war ich glaub ich so mit der umgänglichste Mensch, den man sich vorstellen kann, wobei eine Ausnahme natürlich das Essen betraf. Ich war eigentlich immer in Allem gut, hab meinen Eltern niemals Probleme bereitet (guut, wenn man davon absieht, dass ich kein Bock mehr hatte zu essen), also ich war schon so ein bisschen eine Vorzeigetochter. Dabei habe ich mich aber nie gefragt, ob es eigentlich auch das ist, was ich vom Leben erwarte und ob es mich glücklich macht, ich habe einfach nur für andere gelebt. Ok Leude, ich weiß, das hört sich dramatisch an, fettes Tzorry!
Und auch jetzt höre ich oft genug noch den Kommentar „Waas, das hätte ich nie von dir erwartet, Katja!“ Woow, Wörter reichen nicht aus, um meine Gleichgültigkeit zu diesen Statements auszudrücken. 

Ich möchte keinen dazu ermutigen, irgendwas Verbotenes zutun, aber ich möchte euch eine kleine Geschichte erzählen. Meine damalige Therapeutin zu Schulzeiten (jaa, ich war seit meinem 14. Lebensjahr in Therapie, es tut mir Leid, wenn ich jetzt irgendwelche Menschen verstöre), hat einmal zu mir gesagt: „Katja, hast du eigentlich schon einmal irgendwas Verbotenes getan, bzw. hast du einmal nicht die Regeln befolgt?“ Jetzt würde mir nur dazu einfallen, dass ich die Portionsangaben auf den Verpackungen über Jahre ignoriert habe, wer sollte das denn auch alles essen! Aber sonst? Nein, und das hat mich in dem Moment ehrlich gesagt geschockt, das ist einfach nicht typisch für einen Jugendlichen. Sie meinte dann zu mir, ich soll nächste Woche mal die Schule schwänzen, was ich dann auch getan habe und es war so ein gutes Gefühl, es war ein Gefühl von Freiheit.
Tja, an alle, die mich jetzt kennen und damals nicht, ist schwer zu glauben oder? :D Ich hab in letzter Zeit sehr an diesem Freigeist-Ding gearbeitet, läuft bei mir würde ich sagen! :D
Nur deshalb kann ich über das Ganze jetzt so offen reden, weil ich verstanden habe, dass ich nicht leugnen kann, dass es einmal ein Teil von mir war und in gewisser Hinsicht auch immer noch ist. Früher habe ich immer versucht, das Thema so gut wie es ging zu vermeiden, ich wollte es einfach vergessen durch Verdrängen, dabei habe ich aber nicht gemerkt, dass ich das nur getan habe, weil ich einfach noch nicht ganz loslassen wollte. Man sagt ja immer so schön, jeder Mensch hat seinen eigenen Weg, um mit Problemen fertig zu werden, und ich wollte mir diese Option für alle Fälle offen halten.
Jetzt gibt es dieses Verstecken nicht mehr, jetzt werden Probleme geklärt, wie man es als gesunder Mensch macht: Konfrontation mit dem Problem und ganz wichtig, nicht gleich durchdrehen, manchmal kann es nur besser werden.
Achja, à propos Konfrontation: ein guter Bizeps macht sich immer gut, also schön pumpen gehen, Freunde!

Eure Katja