Sonntag, 21. Februar 2016

Ein ganz normaler Donnerstag



Mohooin!


Ich muss ganz zu Anfang sagen, dass ich lange darüber nachgedacht habe, ob ich das, was ich im Folgenden posten werde, auch so posten kann und habe mich dann dazu entschlossen, jooo, geht fit!
Für alle, die mich nicht kennen, muss ich dazu allerdings ein paar Wörterz loswerden, da es sonst zu Missverständnissen kommen kann. Ich möchte mich keineswegs über psychisch Kranke lustig machen oder mich über diese stellen, vielmehr ist es, bzw. war es für mich der einzig gesunde Weg, um aus diesem ganz großen Schlamassel, um es mal so zu formulieren, einigermaßen unbeschadet rauszukommen.
Ich glaube, ich kann heute schon sagen, dass ich stolz bin auf das, was ich geschafft habe, und damit meine ich nicht nur, dass ich 20 Kilo zugenommen habe, sondern mein ganzes Leben hat einfach wieder an Gewicht gewonnen. Mega metaphorisch, ich weiß, aber das war ne Steilvorlage. Ich hätte früher nie auch nur ansatzweise über dieses Thema sprechen können und natürlich hat sich, außer Familie oder ganz ganz enge Freunde auch keiner getraut, mich darauf anzusprechen. Dieses Thema Essstörung bzw. psychische Krankheiten im Allgemeinen sind ein Tabuthema, obwohl sie paradoxerweise einen immer größeren Raum in unserer Gesellschaft einzunehmen scheinen.
Das war dann schon irgendwie komisch, ich war 3 Monate in der Klinik, die wenigsten wussten Bescheid, ich war einfach vom einen auf den anderen Tag weg und dementsprechend unerwartet bin ich dann auch irgendwann wieder aufgetaucht.
„Hab irgendwie gehört, du hattest mal Probleme mit dem Essen, aber mega gut, dass du jetzt wieder gesund bist!“, - Jaa, danke, hab mich ganz gut von meinem Schnupfen erholt, wurde ja auch drei Monate auskuriert, ich bin auch nicht mehr ansteckend.
„Du siehst sooo gesund aus!“ – Übersetzung: Du hast zugenommen und es steht dir echt gut.
Das sind so ein paar Kommentare, an die ich mich erinnern kann, als ich aus der Klinik wiedergekommen bin, keiner hat sich wirklich getraut, das Offensichtliche anzusprechen, wobei es vielleicht manchmal einiges erleichtert hätte.
Ich möchte hier keineswegs dazu appellieren, mehr Verständnis für diese Krankheit aufzubringen, denn ich sags mal so, ihr wollt es nicht wissen, was in so einem Kopf vorgeht und das ist auch gut so!
Ich möchte das Ganze einfach mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten, was wäre denn, wenn man versucht, das ganze Thema mal mit ein wenig Humor anzunehmen? Ein Lachen erleichtert viel, und ich glaube, das hat mir damals am meisten geholfen, den Klinikalltag zu überstehen. Sich selbst nicht ganz so ernst nehmen, Tabus brechen, anfangen, über schwierige Themen zu reden – vielleicht hilft es einigen, die sich grade mit ihrem Problem allein gelassen fühlen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen,

Eure Katja


Ein ganz normaler Donnerstag



Donnerstagabend, Prime-Time in der Klapse XY. Alle Anorexen versammeln sich mit ihren Decken, ihrer Tasse Tee und dicken Hausschuhen, um ja nicht zu frieren, das passiert ja schnell, wenn man nicht mehr so der Fan vom Essen ist, vor dem Fernseher im Gemeinschaftsraum.
Was geguckt wird? Nein, keine Romantikkomödie mit Hugh Grant, um sich den Klinikalltag ein wenig zu versüßen, ich sag’s euch, da kommt ihr nicht drauf: Die Anorexen gucken Germany’s Next Topmodel, ist das nicht komisch? Ich finde, das schreit eigentlich nach Selbstironie. Natürlich schaut jeder der Anwesenden das Spektakel nur, um abschätzige Kommentare über die Figur der Kandidatinnen abzulassen, die ja vieeeel zu dünn seien, so aus mediziner, objektiver Sicht. Kleiner Reminder, die Hälfte von den Anwesenden wiegt wahrscheinlich die Hälfte von den meisten Kandidatinnen und nein, sie sehen eigentlich keine Notwendigkeit im Essen, besonders Bananen, hüte sich wer kann vor diesen Übeltätern!
Schön, da geht der Spaß also endlich los, da startet parallel die große „Drogenbörse“, alles top-secret, versteht sich. Nein, es geht nicht um Gras oder Ähnliches, das hätte den meisten wahrscheinlich den Rest gegeben; die Rede ist vom guten alten Süßstoff. Ja, ihr hört richtig, mal so ausgedrückt, hattet ihr in der Klinik Süßstoff, wart ihr schon so ein bisschen der King. Ich hatte nie welches. Der Süßstoffking holt also sein Stoff raus und dann geht es los. Unauffällig werden Blicke ausgetauscht. Die Teetasse wird rübergereicht und jetzt geht alles blitzschnell: Klick Klick und schon ist es vollbracht, man hat sich um 2 Süßstofftabletten bereichert. Puhh, nochmal Glück gehabt, die 20,5 Kalorien eines Teelöffels Zucker hätten den Rahmen aber wirklich gesprengt! Und das Ganze hat mal wieder geklappt, ohne von einer der stets wachsamen und sympathischen Schwestern entdeckt zu werden, super!
20:30, ein weiteres Highlight startet, zum Glück ist da sowieso Werbung. Die Spätmahlzeit steht an, da freuen sich die meisten schon so lange drauf, das Abendessen liegt ja schließlich auch schon wieder 2 Stunden zurück, wir wollen ja nicht, dass der Blutzuckerspiegel sinkt. Die Spätmahlzeit besteht aus einem Joghurt, der sich im heiligen Grahl, dem Kühlschrank, der von Schwester Swetlana aufgeschlossenen wird, befindet. Schon 10 Minuten vor Öffnung des Kühlschranks bildet sich eine lange Reihe vor dem Kühlschrank. Jaa genau, die Armen Anorexen haben Angst, nichts mehr zu bekommen. Ne Spaß, also ich kann mich in der ganzen Zeit nicht beklagen, einmal Hunger gehabt zu haben, top Verpflegung, All-Inclusive, Daumen hoch!
Also der wahre Grund für dieses Verhalten liegt schlicht und einfach in der Tatsache, dass es natürlich verschiedene Sorten gibt und vielleicht sind die Brains unter euch schon drauf gekommen, es gibt Joghurts, Nuss oder Vanille zum Beispiel, die hatten 6 Kalorien mehr als Kirsch oder Erdbeere zum Bespiel. Ich sag’s euch, der Abend ist gelaufen, ich sprech da aus Erfahrung, wenn ich keinen guten Platz mehr in der Schlange ergattern konnte, da kommt direkt die Angst vor einer unkontrollierbaren Gewichtszunahme auf!
Und dann kommt der lang ersehnte Moment, Swetlana dreht den Schlüssel und muss gleichzeitig die wildgewordene Meute zurückhalten. Denn dazu muss ich euch über eine Sache informieren: diese dünnen zerbrechlichen Wesen werden zu muskulösen kompromisslosen Hulks, wenn es darum geht, sich einen Joghurt mit 6 Kalorien weniger zu schnappen. In Wirklichkeit ist natürlich jeder gegen Nuss allergisch und mag Vanille einfach nicht, Zufälle gibt’s.
Nachdem wieder ein bisschen Normalität eingekehrt ist, sind die meisten damit beschäftigt, ihr Obst in mikrowinzige Teilchen zu schneiden und sie dann wunderschön auf den Joghurt zu drapieren. In Minutentakt werden jetzt abwechselnd ein kleiner Teelöffel und ein Schluck Süßstoffgetränkter Tee getrunken, für so einen kleinen Becher  Joghurt braucht man dann schon mal gerne eine halbe Stunde, ich hab mich da auch nicht so gerne stressen lassen. Wenn man schon mal da ist, alles nach dem Motto, versuch‘s mal mit Gemütlichkeit.
Um halb elf begeben sich dann alle total erschöpft vom anstrengenden Tag ins Bett (Korrekt, wir haben nur gegessen), überlegen noch, warum diese Mädchen im Fernsehen das Privileg haben, dünn zu sein und man es uns einfach nicht gewährleisten wird, und schlafen danach in den armen einer kochend heißen Wärmflasche ein.


7 Kommentare:

  1. Ich finde gut, wie du dich mit dem Thema auseinandersetzt. Essstörungen und die psychische Belastung sind für viele nicht nachvollziehbar, du hast den Text auf eine herrlich direkte Art geschrieben. Wer ähnliche Erfahrungen gemacht hat merkt (leider) sofort, dass deine Geschichte keinesfalls übertrieben ist, sondern der bitteren Realität entspricht.
    Bitte schreib mehr von solchen Texten����

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    1. Oh Danke dir, das freut mich total, dass es Leuten gefällt, ich hoffe, es werden noch viele Leute lesen! :)

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  2. War das zufällig die Klinik Lüneburger Heide? :D

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    1. Warst du da auch? Das ist korrekt, ich wusste aber nicht, dass man das daraus erkennt :D

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    2. Ich bin dort im Moment :) Naja, vermutlich gibt es nicht so wahnsinnig viele Kliniken mit einer Schwester Swetlana und einer Geier-Schlange vor dem Spätmahlzeitenkühlschrank..Das Szenario ist jetzt einfach noch exakt dasselbe :D

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    3. Haha, wie witzig, ich wünsche dir auf jeden Fall ganz ganz vie Kraft, dass du deinen Weg gehst! :)

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    4. Wie lieb von dir, vielen Dank :) !

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